EAT CLUB No. 04, 12/21

Der Text:

Null Prozent – längst nicht 100  Prozent angekommen.

Dass sich die Coolness alko holfreier Drinks noch nicht sehr weitherumgesprochen hat, musste Oliver Schwarzwald erst kürzlich wieder er-fahren: »Ich war auf einer Vernissage in Berlin, da gab es nichts Alkoholfreies. Das muss man sich mal reinziehen! Nicht mal alkoholfreies Bier …« Oliver, der den High level Zero Dining Club« gegründet hat, einen Blog über spritfreie Menübegleitung, trinkt schon seit einigen Jahren minimal wenig Alkohol.

Angefangen hat das Ganze, weil der Fotograf und Hobbytriathlet die abendlichen Biere beim morgendlichen Lauftreff nicht mehr ganz so gut wegstecken konnte wie früher. Also strich er das Trin-ken nach und nach aus seinem Leben. Und kam damit als Genussmensch öfter mal an den Rand des guten Geschmacks, mit Menükarten in Restaurants oder der alkoholfreien Getränkeauswahl auf Partys konfrontiert: »Ich will keine Apfelschorle serviert kriegen. Ich bin er-wachsen!«. Und weil Oliver mindestens so ambitioniert kocht und isst, wie er läuft und schwimmt, startete er seinen Blog. Fast schon nerdig mutet »High level Zero« an. Da gibt’s zu den Kürbis ravioli mit marinierten Scampi einen Carrouth: alkoholfreier Wermut »mit Karotte, Orange, Rosensirup, Limette und Kardamom Bitters, perfekt arrangiert in einem Martiniglas. »Ich möchte mit meinen Rezepten über den Geschmack kommen. Ich will nicht sagen: Kuck mal, hier hab ich alko-holfreien Gin Tonic, schmeckt fast wie echter, ballert aber nicht. Der Geschmack der Drinks soll überzeugen.« Es hat sich schon einiges getan in der Welt der Zero-Percent-Spirits. Früher standen lediglich Säfte, Sirup und süße Softgetränke zur Verfügung, um Virgin Cocktails zu mixen. »Mit alkoholfreien Spirituosen kann man heute richtige Geschmackswelten eröffnen, da stecken mittlerweile viele Botanicals, Kräuter und Bitternoten drin. Man muss ja irgendwie den Alkohol ersetzen, der in Drinks schon ein Geschmacksträger ist«, erklärt Oliver. Ja, auch alkoholfreie Drinks können eine Wissenschaft für sich sein – nicht nur ihre Promillekollegen: Die Rauchnote, die in Cocktails oft über Branntwein, Brandy oder Cognac einfließt, substituiert Oliver zum Beispiel durch Rauchtee, den er zu Sirup verkocht. Oder rundet seinen Zero Negroni mit Quittenmarmelade und Rosmarinnadeln ab, um die Geschmacksintensität zu erhöhen.

Doch orientiert sich Oliver nicht nur an den Originalen. Viel wichtiger ist ihm ein Gesamtkonzept zwischen Essen und Getränk, »dass man eine Einheit serviert«. So kreiert er beispielsweise aus klassischen Kombis wie Ingwer und Thunfisch, was wir vom Sushi kennen, einen Drink auf Ing-wersirupbasis und tischt dazu gebratenen Thunfisch Grenobler Art auf. »Früher habe ich mich nach einem Dinner gefragt: Habe ich wirklich so gut gekocht, oder habe ich mich und die Leute einfach gut abgefüllt?«, erzählt er lachend. Heute stellt er sich der Herausforderung, sich ganz ohne Kochwein in die Küche zu wagen und ein großes Menü zu kredenzen. Das nüchterne Fazit fällt dann ehrlicher aus  und das ist für den Null-Prozent-Nerd nur eine weitere Motivation.

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‘Feinschmecker’ 11/21