Interview
“Italienische Lebensfreude beginnt am Tisch – nicht im Glas.”
Was macht die italienische Lebensart aus? Für Mattia beginnt sie am Tisch, mit einfachen Zutaten, ehrlichem Essen und echter Gesellschaft. Ein kurzes Gespräch über alkoholfreie Alternativen, toskanische Kindheit, und warum ein ein Glas Zitronenwasser ebenbürtig ist.
Interview: Oliver Schwarzwald, Portrait: Nathalie Mohadjer
Mattia, was bedeutet für dich italienische Lebensfreude – jenseits von Wein und Aperitivo?
Für mich bedeutet italienische Lebensfreude vor allem, gemeinsam an einem Tisch zu sitzen – mit Familie, Freunden, mit Menschen, die einem nahestehen. Es ist dieses Gefühl von Gemeinschaft, das mich erfüllt, und das ist immer untrennbar mit dem Essen verbunden. Trinken ist für mich kein isolierter Akt – es gehört zum Essen dazu, wie der Duft eines guten Gerichts oder das Brot, das man in die Sauce tunkt. Auch bei einem Aperitivo denke ich nicht zuerst an das Getränk, sondern an den Moment, an das Zusammensein, an die Kleinigkeiten, die dazu serviert werden. Ich sehe Trinken wie eine Zutat eines Gerichts – allein ist sie nur halb so interessant. So wie ein Stück Fleisch ohne seine Sauce trocken wäre, fehlt dem Trinken ohne Essen und ohne Gesellschaft der wahre Genuss. Deshalb interessieren mich alkoholfreie Drinks oder Cocktails besonders, wenn sie denselben kulturellen und kulinarischen Rahmen haben: Sie sollen begleiten, ergänzen, einladen. Die Freude liegt nicht im Alkohol, sondern im Ritual, im Teilen und im Genuss.
Wie passt dein Kochbuch “Si mangia” zur neuen Lust auf bewussten Genuss – auch ohne Alkohol?
"Si mangia“ steht für bewussten, einfachen Genuss – genau das, wonach heute viele Menschen suchen. Es ist ein Buch, das sich der Schlichtheit der Zutaten widmet, dem Respekt vor dem, was wir haben, und der Kunst, daraus etwas wirklich Harmonisches zu machen. Es ist tief verwurzelt in der toskanischen Tradition meiner Familie, in einer Küche, die man vielleicht „arm“ nennt, die aber reich an Geschmack, Fantasie und Nachhaltigkeit ist.Ich bin mit elf Geschwistern aufgewachsen – jeden Tag saßen wir an einem großen Tisch, und unsere Mutter hat oft mit dem gearbeitet, was da war. Reste wurden nie weggeworfen, sondern kreativ verwandelt. Das hat mich geprägt.
Gibt es ein Gericht in deinem Buch, das besonders gut mit einem alkoholfreien Drink harmoniert?
Ganz ehrlich: Es gibt viele! Aber ein typisches Beispiel ist die pappa al pomodoro – altes Brot, Tomaten, Knoblauch, gutes Olivenöl und viel Basilikum. Einfach, ehrlich, unglaublich gut. Und oft genieße ich dazu lieber ein Glas stilles,Wasser mit einem Spritzer Zitrone und einer Prise Salz. So schlicht, aber diese Kombination bringt eine unglaubliche Frische und Tiefe, die das Gericht perfekt ergänzt. Ein weiteres schönes Beispiel: "pasta alle vongole". Hier harmoniert ein Glas kühles Mineralwasser mit einem kleinen Schuss Apfelessig überraschend gut – es bringt Stabilität und Frische in den Gaumen und unterstreicht den feinen, salzigen Charakter der Venusmuscheln. Es ist ein Spiel von Säure, Mineralität und Umami – ganz ohne Alkohol.
Was „trinkst" du zum „Feierabend“ – wenn’s kein Vino ist?
Wenn es kein Wein ist – und oft ist es das nicht – dann trinke ich sehr gerne ein alkoholfreies Bier. Gerade wenn ich allein bin, finde ich das genau richtig: Es gibt mir das Gefühl eines besonderen Moments, ohne dass Alkohol im Spiel sein muss. Und natürlich – immer Mineralwasser, das gehört für mich einfach dazu.Wenn ich in Gesellschaft bin, kann es auch mal ein Bier sein, zum Teilen, zum Anstoßen. Es hängt sehr von der Stimmung ab – und von der Jahreszeit. Im Sommer vielleicht etwas Frisches, im Winter etwas Wärmendes. Aber im Zentrum steht für mich nicht das Getränk, sondern die Atmosphäre: der Moment, in dem man den Tag loslässt und einfach genießt – mit oder ohne Alkohol.
Was würdest du sagen: Ist alkoholfreier Genuss auch eine Form von Dolce Vita?
Auf jeden Fall. Dolce Vita ist für mich ein Jubel auf das Leben – eine Feier der kleinen Dinge. Und dazu gehört auch das Dolce Far Niente: einfach mal nichts tun müssen, sich treiben lassen, den Tag genießen, ohne an morgen zu denken. Das hat nichts mit Alkohol zu tun – sondern mit Freiheit, mit Präsenz, mit Achtsamkeit. Alkoholfreier Genuss passt da wunderbar hinein. Es geht nicht um das Was, sondern um das Wie: mit wem man isst, wie man sich Zeit nimmt, wie man ein Gespräch führt. Für mich ist Dolce Vita auch, stundenlang an einer Tafel zu sitzen, Rezepte auszutauschen, über das Leben zu sprechen – ganz ohne Eile, ganz ohne Druck. Das ist wahre Lebenskunst.
Wie sieht’s du die Entwicklung alkoholfreier Alternativen, abseits von Sanbitter etc, in Italien?
Ich würde sagen: Es ist eine große Wette – aber eine sehr verantwortungsvolle. In einem Land wie Italien, mit einer so tief verwurzelten Ess- und Trinkkultur, ist es natürlich eine Herausforderung, alkoholfreie Alternativen zu etablieren. Doch gerade deshalb finde ich es spannend und wichtig. Es ist eine Chance, besonders für ein Publikum, das bewusster konsumiert und offen für Neues ist.Was mir wichtig erscheint: Die Menschen sollten immer eine Wahl haben. Wenn man als Gesellschaft nur Alkohol anbietet oder sogar erwartet, dass Alkohol immer dazugehört, finde ich das einschränkend. Es braucht Alternativen – echte Alternativen, die geschmacklich, kulturell und sozial überzeugen. Und genau da sehe ich großes Potenzial: Für Kreativität, für neue Produkte, und auch für mehr Kommunikation und Marketing in diese Richtung. Italien ist bereit – man muss es nur richtig erzählen.
Mattia Risaliti
Mattia ist Koch und Food-Stylist aus Berlin und wuchs in einer toskanischen Großfamilie mit zehn Geschwistern auf. Im kalten Berlin hat er die Liebe für die Küche seiner Heimat wiederentdeckt. Die Rezepte seines Vaters, seiner Großmutter und seiner Mutter waren immer ein natürlicher Teil seines Lebens, doch erst in Deutschland, weit weg von der Toskana und ihren kulinarischen Spezialitäten, wurde ihm dieser Schatz bewusst. Regelmäßig verwöhnt er alle Menschen, die ihm wichtig sind, mit seinen kulinarischen Kreationen. Er entwickelt seine eigenen Rezepte und inszeniert und drapiert diese gekonnt für Magazine und Unternehmen auf dem Teller.
Web: Mattia Risaliti Instagram: Mattia Risaliti
Das Buch
„Si mangia!“ – „Lasst uns essen!“ So tönt es durch das rustikale Bauernhaus in den Hügeln der Toskana, das der Schauplatz dieses traditionsreichen und herzlichen Kochbuchs ist. Von typisch toskanischen Antipasti über Gemüse-, Fleisch- und Fischgerichte bis hin zu köstlichen Desserts ist dieses Buch voller bewährter Rezepte für klassische Gerichte aus der Toskana. Ein großes Festmahl, bei dem la porchetta, ein Schweinebraten, die Hauptrolle spielt, bringt die ganze Familie mit Eltern, elf Geschwistern und ihren Kindern zusammen.
“Die Freude liegt nicht im Alkohol, sondern im Ritual, im Teilen und im Genuss.“
















