Editor’s Notes

Dry January: Nervig? Ja. Wichtig? Auch.

Text & Collage:
Oliver Schwarzwald

Editorial #5

Dry January nervt? Sehr gut!

Dry January.

Allein der Begriff reicht, um bei bestimmten Leuten im besten Fall Augenrollen auszulösen. Im zweitbesten Fall führt es zum Verlust der Impulskontrolle und endet in voraussehbaren Selbstversuchen. Die werden episch in meinungsstarken Artikeln ausgebreitet, nur um am Ende zur wenig überraschenden Erkenntnis zu kommen, wie sehr alkoholfrei nervt. Wie wenig Spaß macht es bitte, ins Lager der Selbstoptimierer, der Genussverächter und Sportfanatiker zu wechseln. Echt? Wow. Letzteres ist mir völlig egal, und die größte Aufregung ist erfahrungsgemäß in KW2 schon Geschichte. Mich treibt hier eher die ständige Kontroverse um: Warum nervt der Dry January? Warum nervt die Postulierung eines alkoholfreien Lifestyles? Aber die 24/7-Dauerbotschaft „Alkohol ist gut für dich“ darf ich ungefragt und unkommentiert hinnehmen? Nein, das möchte ich nicht mehr. Dann wird’s eben nervig.

Ganz ehrlich? Wenn ich ein-, zweimal im Jahr mit dem Thema „alkoholfrei“ explizit nerve, dann ist das für mich ein mehr als fairer Ausgleich. Alkoholwerbung fragt mich auch nicht, ob ich sie will. Sie nervt mich das ganze Jahr – im Supermarkt, auf Plakaten, in sozialen Medien. Und ganz neu bei Streaming-Anbietern wie Amazon Prime. Mehr Verharmlosung und Geselligkeitsnarrativ geht kaum noch, wie in einer der letzten Kampagnen eines großen Whiskey-Herstellers. Ich habe nicht darum gebeten. Aber wir nehmen sie hin, die ständige Berieselung, die ständige Wiederholung veralteter Narrative. Und damit setzt sich etwas fest, das falscher nicht sein kann.

Genau das ist mein Problem, meine gläserne Decke, an die ich immer noch stoße. Ich merke es immer wieder, wie schwer es mir persönlich fällt, mit internalisierten Verhaltensweisen und Gewohnheiten komplett zu brechen. Seit über drei Jahren lebe ich sehr glücklich ohne Alkohol, aber das Narrativ von Feiern, Geselligkeit und Glück, verbunden mit einer Substanz, sitzt sehr, sehr tief in mir. Es ist seit frühester Kindheit in mich eingepflanzt worden. Ich kann immer noch Werbespots rezitieren, die ich vor über 40 Jahre gesehen habe. Ich erinnere noch genau wie die Palme auf den Rum Plakaten im türkisblauen Wasser hängt. Und obwohl ich mich sehr eingehend damit beschäftige und vermeintlich alles durchschaut haben weiß ich oft nicht, wie ich es ändern könnte. Der Versuch, Alkohol durch alkoholfreie Alternativen zu ersetzen, ist ein erster Schritt, gut aber leider nicht genug.

Was wir brauchen, ist eine grundlegende Veränderung. Ein neues Narrativ, das Feiern und Geselligkeit wie auch immer wir es verstehen wollen, neu definiert; und damit eine Unterbrechung der Dauerschleife. Ein Werbeverbot ist in Deutschland reine Utopie. Ebenso wird die Einschränkung des Verkaufs von Alkohol.

Genau deshalb gibt es Monate wie den Dry January. Sie stören, sie provozieren. Sie nerven. Dank liebe Kritiker, ihr macht uns sichtbar. Wir sehen und dann im Mindful March, Dry July, Sober October usw. ich freue mich schon!

Cheers Oliver Schwarzwald - Januar 2025

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